Interview zur Wahl in Brasilien mit Frank Schwabe
Frank Schwabe war bei der 2. Runde der Präsidentschaftswahlen in Brasilien dabei. Er war Mitglied einer Delegation der SPD, die an drei Tagen die Wahlen begleitete und zahlreiche politische Gespräche zur Lage in Brasilien führte.
Lula da Silva heißt der neue Präsident Brasiliens. Wie war es dabei zu sein?
Ich habe schon das ein oder andere außenpolitisch erlebt. Auch Wahlen. Es war aber auch für mich ein einzigartiges Erlebnis. Eine massive Anspannung, weil es um so viel ging. Und dann eine Entladung der Emotionen in dieser außergewöhnlichen Konstellation. Für viele Menschen eine Befreiung für ein Land, in dem viele das Gefühl haben am Abgrund zu stehen.
Welche Momente haben sich besonders eingeprägt?
Am Nachmittag der Wahl gab es Berichte über die Behinderung von Lula Wählerinnen und Wählern. Da gab es diesen Moment wo diese Unsicherheit, ob Bolsonaro versucht den gesamten Wahlvorgang zu manipulieren und zu diskreditieren, neue Nahrung bekam. Man muss sich das vorstellen: Die Bundespolizei hatte die Anweisung am Wahltag - einem Sonntag - Fahrzeuge zu blitzen und auf ihre Fahrtüchtigkeit zu kontrollieren. Und zufällig genau in den Lula Hochburgen im Nordosten des Landes. Nicht auszudenken, wenn Lula am Ende ein paar Hunderttausend Stimmen gefehlt hätten.
Ab wann gab es eine wachsende Gewissheit, dass es klappen könnte?
Wir sind am Abend von unserem Hotel zum dem Hotel Intercontinental gelaufen, in dem sich die Arbeiterpartei und Lula versammelt haben. Auch die internationalen Gäste wie der ehemalige spanische Ministerpräsident Zapatero oder der Präsdient von Uruguay Pepe Mujuca. Wir gehörten auch zu diesen Gästen. Und wir sind die Paulista entlang gelaufen. Das ist die Hauptstraße in dieser riesigen Metropole Sao Paulo, auf der auch hinterher von Zehntausenden der Wahlsieg gefeiert wurde. Und dann lag Lula bei der Auszählung zum ersten Mal vorn. Am Anfang lag Bolsonaro in Führung. Und es war ja auch super knapp. Am Ende aber lag Lula immerhin mit über 2 Millionen Stimmen vorn. Also knapp, aber klar. In dem Moment, indem Lula über die 50 Prozent sprang brandete Jubel auf. Ein absolutes Gänsehautgefühl.
Was hast Du da in Sao Paulo genau gemacht? Du bist ja erfahrener Wahlbeobachter. Was war in Brasilien anders?
Im Rahmen des Europarats nehme ich an organisierten und formalisierten Wahlbeobachten teil. Die ergeben sich durch die Mitgliedschaft von Ländern in internationalen Organisationen wie beispielsweise dem Europarat. Sie sind strikt neutral und formalisiert. In Brasilien war es ganz anderes. Ich würde es eher Wahlbegleitung als Wahlbeobachtung nennen. Meine Kolleg:innen aus dem Bundestag Isabel Cademartori, Manuel Gava und ich waren in keiner Weise neutral. Wir waren da, weil wir wollten, dass Lula gewinnt. Das war das eine Ziel. Aber vor allem wollten wir als Zeugen der Lage sicherstellen, dass das Wahlprozedere integer ist und das Wahlergebnis akzeptiert wird. Im Zweifel hätten wir das auch bei einem Wahlsieg Bolsonaros so kommuniziert. Zum großen Glück mussten wir das aber nicht.
Ist jetzt alles gut?
Nein. Mitnichten. Es ist nur eine Atempause. Es ist erschreckend zu sehen wie schnell demokratische Institutionen geschwächt und letztlich auch beseitigt werden können. Und es gibt für mich keinen Zweifel. Bolsonaro ist kein Demokrat. Er hätte versucht eine Diktatur aufzubauen. Mit einer scheindemokratischen Fassade möglicherweise. Aber letztlich im Kern diktatorisch. Es macht Hoffnung, dass sich dem auch Teile der Gesellschaft und Institutionen entgegen stellen, die in keinem Fall links sind.
Aber der sogenannte Bolsonarismus lebt. Fast 50 Prozent der Menschen haben Bolsonaro gewählt. Aus unterschiedlicher Motivation. Aber es gibt einen harten Kern aus wohl etwa einem Drittel der Bevölkerung, der Bolsonaro aus voller Überzeugung und mit Leidenschaft unterstützt. Im Kongress und in den Bundesstaaten ist Bolsonaro stark. Lula muss die nächsten 4 Jahre nutzen, um politisch erfolgreich zu sein. Er muss die Wirtschaft ankurbeln und die Armut bekämpfen. 33 Millionen Menschen hungern. Das ist umgerechnet fast die Hälfte Deutschlands. Und Lula muss das Land zusammenführen, um wieder stabile demokratische Mehrheiten zu erzeugen.
Du hast gesagt, Brasilien sei nur ein Spiegelbild der internationalen Entwicklung. Was meinst Du damit?
Den Bolsonarismus gibt es leider überall. Mal mehr und mal weniger stark. Ein Populismus, meist rechts, der einfache Antworten auf komplexe Zusammenhänge suggeriert. Der wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage stellt, vorgibt Politik für die Mehrheit zu machen und damit Minderheitenrechte in Frage stellt, der demokratische Institutionen schleift, die unabhängigen Gerichte. Und vor allem erleben wir immer mehr eine Instrumentalisierung von Religion. Das ist im Hindunationalismus in Indien nicht anders als bei den Mullahs im Iran, das ist bei der Instrumentalisierung der orthodoxen Kirche in Russland so und eben auch bei vielen evangelikalen Kirchen in den USA wie in Brasilien. Das ist höchstgefährlich und es wird eine unruhige Zeit. Aber ich bin optimistisch. Die Demokraten, die Aufgeklärten sind in der Mehrheit. Aber wir werden kämpfen müssen. Sonst verlieren wir den Kern unserer Freiheit. Das ist DIE Lehre aus der Lage in Brasilien. In vier Jahren steht die nächste Präsidentschaftswahl an.
Was heisst das Ergebnis international?
Dass Brasilien erstmal überhaupt wieder dabei ist. Bei der Stärkung internationaler Institutionen. Im Rahmen der Vereinten Nationen. Im Rahmen internationaler Abkommen. Zwischen Lateinamerika und Europa beispielsweise. Brasilien ist wieder dabei beim Regenwaldschutz, beim Klimaschutz, beim Schutz von Indigenen, beim Schutz der Menschenrechte allgemein. Und das ist großartig. Und wir müssen es schnell nutzen und als Deutschland die Hand reichen. Wir haben auch eine enge Kooperation der SPD in Deutschland und der Arbeiterpartei PT in Brasilien verabredet. Die Zeit bis zu den Wahlen in vier Jahren geht schnell um. Deshalb müssen wir umgehend loslegen.